„Traut euch! Unsere Welt braucht Innovation und Mutige, die sie umsetzen.“

Amrei Becker, re.solution GmbH

Interview mit Amrei Becker von re.solution GmbH

Amrei Becker, re.solution GmbH

Mit re.solution setzen Amrei Becker und ihr Team ein starkes Zeichen für mehr Nachhaltigkeit in der Textilindustrie. Das Start-up entwickelt eine innovative chemische Recyclingtechnologie für polyesterhaltige Alttextilien, die mit einem geringen CO₂-, Chemikalien- und Wasserfußabdruck überzeugt. Das Verfahren nutzt erneuerbare Energien und ist speziell darauf ausgelegt, gängige textile Materialmischungen effizient zu recyceln. So trägt re.solution aktiv dazu bei, Textilien vor der Deponie oder Müllverbrennung zu bewahren. Im Interview erzählt Amrei Becker von der Gründung, den Herausforderungen des Recyclings und ihrer Vision für eine zirkuläre Textilwirtschaft.

Idee und Motivation

Was hat euch inspiriert, eine Recyclingtechnologie für Polyester zu entwickeln?

Amrei Becker: Mehr als die Hälfte, nämlich 57%, aller weltweit hergestellten Fasern bestehen aus Polyester. Heute wird dieser Kunststoff fast ausschließlich aus Erdöl hergestellt. Damit der Ausstieg aus Öl und Gas gelingt, aber die Weltbevölkerung weiterhin etwas zum Anziehen hat, können Kunststoffe aus Biomasse oder durch Recycling hergestellt werden. Da die landwirtschaftlichen Flächen für den Anbau von Naturfasern beschränkt sind, haben wir uns für den Weg des Recyclings entschieden. Textilien können ein wertvoller Rohstoff sein. Deshalb haben wir am Recycling von Textilien gearbeitet und ein nachhaltiges und robustes Verfahren für Mischtextilien entwickelt.

Warum habt ihr euch für den Standort NRW entschieden?

Amrei Becker: Das war erstmal eher ein Zufall, da das ganze Gründungsteam an drei verschiedenen Lehrstühlen der RWTH Aachen University promoviert hat und wir uns dort kennengelernt haben. Aachen hat sich aber auch für die erste Phase angeboten, weil wir hier schnell auf die bestehende Infrastruktur der Uni zugreifen konnten. Zurzeit bauen wir unsere Pilotanlage und da merken wir, dass es vorteilhaft ist die Anlage da zu bauen, wo viel produziert wird und wo viele Menschen leben – weil es dort auch viele Alttextilien gibt. In NRW sind wir also nah an der Rohstoffquelle.

Technologie und Innovation

Wie funktioniert eure Recyclingtechnologie, und was unterscheidet sie von anderen Ansätzen?

Amrei Becker: Mit unserer Technologie fokussieren wir uns auf das Recycling von Materialmischungen, die Polyester enthalten. Viele andere Recycling Start-ups fokussieren relativ reine Materialströme, wobei die meisten Bekleidungstextilien, aber auch technische Textilien aus Mischmaterialien bestehen. Das chemische Recycling mittels Hydrolyse ist sehr gut für solche Materialien geeignet. Unsere Technologie kombiniert die Hydrolyse mit einer elektrifizierten Aufarbeitung zur Rückgewinnung der Monomere, also der Bausteine des Polyesters.

Welche Umweltziele erfüllt eure Lösung?

Amrei Becker: Die Hydrolyse hat im klassischen Ansatz den Nachteil, dass sehr viel Abfall in Form von Salz bei der Rückgewinnung der Polyester-Monomere entsteht, weil Basen und Säuren für die Einstellung des pH-Wertes im Prozess benötigt werden. Das Salz ist aber nicht das Tafelsalz, was man aus dem Supermarkt kennt, sondern ein unreiner Abfallstoff. Die Herausforderung des Salzabfalls haben wir mit unserem elektrochemischen Aufreinigungsverfahren gelöst und statt Chemikalien nutzen wir Strom. Neben der Vermeidung von Abfall hat unser Prozess auch einen niedrigen CO2-, Chemikalien- und Wasserfußabdruck im Vergleich zu Wettbewerbern oder der Produktion von fossilem Polyester.

Gründung und Aufbau

Wie verlief euer Weg von der Idee zur Gründung?

Amrei Becker: Die Idee kam uns nach einem gemeinsamen Forschungsprojekt, in dem wir verschiedene mechanische und chemische Recyclingverfahren für Polyestertextilien miteinander verglichen haben. Als wir gemerkt haben, dass die Hydrolyse, kombiniert mit einer elektrochemischen Aufarbeitung wirtschaftliches Potenzial hat, haben wir unseren ersten Business Plan geschrieben und bei einem Aachener Gründungswettbewerb mitgemacht. Kurz danach haben wir uns auf das Förderprogramm EXIST Forschungstransfer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz beworben und nachdem dieses gestartet war, haben wir recht schnell auch die re.solution GmbH gegründet. 

Gab es schwierige Momente, und wie habt ihr diese gemeistert?

Amrei Becker: Einige Anlagenteile sollten mit deutlicher Verspätung geliefert werden – bei einem 24-monatigem Projekt war das aber nicht eingeplant. Wir haben uns Abhilfe geschaffen indem wir dann anderes Equipment geliehen haben und damit unsere Versuche durchführen konnten. Das war viel Organisation, aber am Ende hat es auch so geklappt.

Wie habt ihr die Finanzierung organisiert, und welche Unterstützung habt ihr erhalten?

Amrei Becker: Seit Sommer 2023 werden wir mit EXIST-Forschungstransfer vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert. Das hilft uns sehr, weil wir somit zu viert in Vollzeit unseren Prozess und unser Unternehmen entwickeln können und zudem ein großartiges Team an studentischen Hilfskräften aufbauen konnten. An der RWTH Aachen University haben wir vom Gründungzentrum RWTH Innovation Entrepreneurship Center Unterstützung erhalten. Darüber hinaus haben wir außerdem sehr von der Chemstars Initiative in NRW profitiert. Aktuell sind wir auf der Suche nach Finanzierung von Business Angeln und Venture Capital, um unsere nächste Skalierungsstufe, eine semi-industrielle Anlage, zu finanzieren.

Erfolge und Zukunft

Auf welchen Erfolg seid ihr besonders stolz?

Amrei Becker: Wir sind stolz auf den Aufbau und den Betrieb unserer Mini-plant, die wir zum Recycling realer Textilien nutzen, wie zum Beispiel Rucksäcke oder technische Textilien wie Prozessbänder. Der Betrieb wird durch unsere studentischen Hilfskräfte unterstützt, sodass die Anlage nahezu immer läuft. Wir haben außerdem einige Preise gewonnen wie zum Beispiel den ACHEMA Gründerpreis oder den ersten Platz im Pitch Wettbewerb Düren – das waren besondere Momente und tolle Erinnerungen fürs Team.

Welche Ziele habt ihr für die nächsten Jahre?

Amrei Becker: Wir planen unter anderem die Skalierung unserer Technologie in den Tonnen-Maßstab. In den nächsten Monaten verlassen wir deshalb das Labor der Uni und werden in eigene Hallen und Büros umziehen. Damit einher gehen natürlich die verschiedenen Finanzierungsrunden und der weitere Aufbau von Partnerschaften mit Zulieferern, Abnehmern usw. Das wird sehr spannend und wir freuen uns schon auf die kommende Zeit.

Tipps für Gründerinnen und Gründer

Was war die wichtigste Lektion, die ihr als Gründer gelernt habt?

Amrei Becker: Wir haben super viel in den letzten Jahren gelernt, aber eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, wie wichtig Kollaboration und Netzwerk sind. Wir versuchen grundsätzlich mit vielen Leuten zu sprechen, auch mit denen, die vielleicht auf den ersten Blick nichts mit unserem Thema zu tun haben. Das hat uns an der ein oder anderen Stelle geholfen neue Ideen zu generieren.

Welche Tipps habt ihr für andere, die im Bereich Recycling oder Umwelttechnologie gründen möchten?

Amrei Becker: Traut euch! Unsere Welt braucht Innovation und Mutige, die sie umsetzen.