Grubenhelden: ein modisches Zeichen für das Ruhrgebiet und seine Kohle-Tradition

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00:07 Es spricht Matthias Bohm, Gründer der Grubenhelden GmbH

Transkription:

Matthias Bohm: Glück auf! Mein Name ist Matthias Bohm. Ich bin Gründer von Grubenhelden. Wir sind ein kleines Mode-Start-up aus dem Ruhrgebiet, die die Geschichte des Bergbaus, die Geschichte der Kohle erzählen, um so meiner Heimat ein bisschen was zurückzugeben und der ganzen Welt von dieser Geschichte zu erzählen.

Ich bin familiär vorbelastet: Mein Opa war Bergmann, mein anderer Opa hat in Hafenbetrieben gearbeitet, hat die Kohle auf die Schiene gesetzt, der andere Opa am Stahlofen. Das heißt, wir haben beide Industrien in meiner Familie vereint. Und mir ging es einfach darum, über einer halben Million Menschen, die im Steinkohlebergbau gearbeitet haben und dafür gesorgt haben, dass wir in Deutschland heutzutage so leben, wie wir leben dürfen, einfach Danke zu sagen. Und den Jungs den nötigen Respekt zu zollen, für diese Geschichte, die Deutschland wieder aufgebaut haben nach dem zweiten Weltkrieg. Und wie kann man es besser tun als mit Klamotten?

Wir arbeiten das Bergmannshemd der Kumpel und Malocher mit in unsere Klamotten mit ein. Auch das Steigerlied findet Platz und viele kleine Details in den Klamotten auch. Und so erzählen wir diese Geschichte, die Geschichte meines Ur-Opas.

Allein kann ich diese Geschichte nicht erzählen. Ich bin froh, ein ganz großartiges Team um mich rum zu haben. Mittlerweile sind wir über zwölf Festangestellte sogar, nochmal das Doppelte an Aushilfen und auch sieben Bergleute, sieben ehemalige Bergleute, die bei mir mit hier im Team arbeiten. Mein ältestes Teammitglied ist Marian. Marian ist 72 Jahre und macht alles, was ihr bei den Lederprodukten bei uns findet per Hand selber.

Wir haben in diesem Team auch fünf Mode- und Textildesignerinnen. Wir schneidern selber hier auch in Gladbeck und sind seit August letzten Jahres, seit 2020, auch Ausbildungsbetrieb. Wir bilden zum Schneider aus, zum Textilschneider aus, altes Handwerk und das ist halt spannend, das ist ein ganz hochwertiger Beruf, ein ganz wichtiger Beruf, weil jeder auf dieser Welt eine Klamotte trägt. Deswegen braucht es Schneider und Textildesigner, und ich bin froh, ein großartiges Team da an der Seite zu haben.

Wir erzählen die Geschichte des Bergbaus, die Geschichte der Kohle, aber aus Kohle wird Stahl, die zweite große Industrie, die, glaube ich, aus dem Ruhrgebiet kommend, Deutschland groß gemacht hat. Und so durften wir seit Ende letzten Jahres, seit Oktober letzten Jahres, mit Thyssenkrupp, mit dem Stahlkonzern in Deutschland, haben wir gemeinsam ein Label gegründet, nämlich August & Alfred, nach beiden Gründervätern, und arbeiten dort die Silbermäntel ein, die Bekleidung der Stahlarbeiter. Und haben dort auch Klamotten designt und Klamotten gebaut und erzählen somit neben der Kohle nun auch die Geschichte des Stahls. Und so haben wir beide Sachen, die das Ruhrgebiet groß gemacht hat zusammen, und ich glaube so können wir loslegen, ehrlich gesagt.

Wenn du ein kleines Mode-Start-up bist, brauchst du auf jeden Fall eine Online-Sichtbarkeit. Weil sonst, wo sollen die Leute dich sonst wahrnehmen? Wir haben kein Millionen-Marketingbudget, um den Leuten komplett von Grubenhelden zu erzählen. Das heißt, das ist online eine ganz, ganz wichtige Präsenz. Und so sind wir 2016 mit dem Online-Shop gestartet, aber haben relativ schnell gemerkt, dass die Leute uns auch gerne besuchen wollen. Klamotte ist was zum Anfassen, das ist was Haptisches, man zieht es an, man fasst es an, man fühlt es. Und dann war uns relativ schnell klar aufgrund des Feedbacks auch, als die Leute gesagt haben „Macht doch einen eigenen Laden auf. Macht doch einen eigenen Laden auf.“

Und viele so: „Ja, in der Essener Innenstadt, in der Bochumer Innenstadt, in der Dortmunder Innenstadt“

Ich so: „Ne! Wir machen das in einer alten Zechensiedlung!“

So, und wir stehen hier gerade in einer alten Zechensiedlung. Der Freiraum, wo wir gerade drinstehen, war in den 50er, 60er Jahren typischer Tante-Emma-Laden, der die Bergleute hier in der Siedlung versorgt hat, mit allem Nötigen. 500 Meter weiter hoch die Straße war ein alter Wetterschacht und so haben wir hier Zeche. Genau die Geschichte, die wir erzählen, haben wir hier. Und mir war es egal, dass ich keine Laufkundschaft habe. Mir war es wichtig, dass die Leute aktiv zu uns kommen und ihre Geschichten erzählen. Ich war selber nicht unter Tage. Ja, ich habe mal elf Grubenfahrten gemacht, aber das ist, glaube ich jeder Bergmann lacht darüber, wenn ich ihm das erzähle.

Aber ich brauche die Geschichten der Menschen, die wir wieder aufnehmen, in Klamotten packen und diese Geschichten erzählen. Und das ist großartig. Und wenn einer sagt „Ja, das ist irgendwann ja mal vorbei“, seid euch sicher, wir haben so viele Geschichten, die wir erzählen können, um diese Geschichte einfach nicht vergessen zu lassen. Wir haben die Geschichte auch weiterzutragen, nämlich im wahrsten Sinne des Wortes weiter zu tragen mit coolen, stylischen Klamotten.

Und haben mittlerweile zwei weitere stationäre Läden: einen auf der Zeche Zollverein, da kann der Deckel nicht besser zum Topf passen, auf dem UNESCO-Weltkulturerbe, wo ja die Geschichte des Bergbaus visuell sichtbar ist. Und in der größten Shopping-Mall Europas, im CentrO in Oberhausen, durften wir Ende 2019 unseren dritten Laden eröffnen. Und wir haben noch einen vierten Laden, der ist rollend, nämlich einen Fashion-Truck. Wir haben einen alten Krankenwagen umgebaut, der auf die Straße geht, als rollenden Store, der eigentlich letztes Jahr auf große Festival-Tournee gehen sollte. Aber die Welt stand still, oder steht immer noch still und deswegen steht dieser Fashion-Truck auch still, aber wir hoffen, dass wir ihn irgendwann auch wieder auf die Straße kriegen und den Leuten auch die Geschichte in dem Sinne nach Hause bringen und nicht nur zu uns kommen lassen.

Wir waren mit Grubenhelden knapp ein Jahr alt, da war es immer noch Hobby von mir, ich hatte nochmal einen normalen Job und solche Geschichten und dann sind wir mit einem Gründerpreis ausgezeichnet worden im Ruhrgebiet, mit dem Tacken. Dann hat man einen Fehler gemacht, bei dieser Veranstaltung. Nicht, dass man uns den Preis gegeben hat, sondern dass man mir ein Mikrofon in die Hand gegeben hat. Und da habe ich aus voller Emotion heraus gesagt: Wie kann ich meinem Ur-Opa Danke sagen, und über der halben Million Menschen Danke sagen, als der ganzen Welt von dieser Geschichte zu erzählen? Wie kann ich es im Bereich Mode am besten tun, als auf der größten Fashion-Show der Welt? Wir gehen nach New York!

Keine zwei Jahre später sind wir in den Flieger gestiegen als Vollamateure. Das war die erste Fashion-Show, die wir als Grubenhelden überhaupt gelaufen sind und das auf der größten Bühne der Mode. Und ich sag immer, wenn die New York Times über einen schreibt, haben wir so viel nicht falsch gemacht. Das war eine verrückte Reise, sicherlich mit die verrückteste Reise in meinem Leben. Wir hatten Bergleute im Gepäck, wir haben einen Flashmob gemacht, haben das Bergmannslied, das Steigerlied, am Times Square gesungen und sind eine völlig verrückte Show gelaufen. Und auf einmal wusste die ganze Welt von uns.

Seitdem haben wir international verschickt, wir haben in jedes Land dieser Welt verschickt und egal, wo auf dieser Erde, kann ich behaupten, irgendwo trägt jemand Grubenhelden. Und das war quasi ja die nächste Stufe, die wir damit erreicht haben. Und umso mehr hat es mich gefreut, dass wir auch Ende letzten Jahres mit dem Gründerpreis NRW, also quasi die nächste Stufe, ausgezeichnet worden sind, mit dem dritten Platz. Zeigt einfach, und auch meinem Team, ja, dass die Leute das verstehen, was wir machen.

Eigentlich wären wir jetzt gerade aus Japan zurückgekommen. Wir wären nämlich, weil New York sollte keine Eintagsfliege werden, wir haben uns nicht ohne Grund auf die Fahne geschrieben aufzubrechen, raus in die Welt, um diese Geschichte zu erzählen, sondern wir wollten auch die nächste Fashion-Show in Tokio laufen, waren auch schon sehr, sehr weit in den Planungen und jeder weiß es, was dann passierte. Aber seid euch sicher, eins werden wir nicht tun: nur quatschen. Sondern wir malochen hier und ob es '22 wird oder '23 oder '24, wir machen Tokio auf jeden Fall. Weil für die Geschichte ist es wert, nicht nur in diesem Kosmos Ruhrgebiet belassen zu werden, sondern, dass die ganze Welt davon erfährt, wer dafür verantwortlich ist, damit ich so leben darf, wie ich leben darf.

Setzt mich bloß nicht an eine Nähmaschine, vielleicht, die wollen zwar immer, dass ich mich mal dransetze, aber ich habe mich bisher noch nicht getraut, ich überlasse das gerne den Profis. Ich habe eigentlich mit Mode bis dato gar nichts zu tun gehabt, als ich mit Grubenhelden gestartet bin. Ich komme aus dem Sport. Ich habe Sportwissenschaften studiert, habe Sportmanagement studiert, habe meine ersten beruflichen Jahre im Sport verbracht, aber ich brauchte halt ein Vehikel, mit dem ich diese Geschichte erzählen kann. Und wenn es ein Wasser gewesen wäre, wo jeder sich mit beschäftigt, hätte ich ein Wasser gemacht. So ist es Klamotte geworden, weil der Bergmann natürlich auch zu seiner Schicht sich umgezogen hat, sich das Bergmannshemd angezogen hat, seine Hose, seine Jacke angezogen hat und dann auf Schicht gefahren ist. Und so ist es Klamotte geworden, aber es hätte auch alles andere sein können.

Ein Start-up zu gründen ist, glaube ich, für viele Menschen ein Traum, sich selbst zu verwirklichen, seinen Alltag selbst zu bestimmen, aber da gehört eine Menge Maloche zu. Das passiert nicht so. Nach außen sieht es manchmal vielleicht sehr einfach aus, aber dahinter musst du dir schon bewusst sein, was du dir da antust. Das ist Verzicht auf eine Menge. Wenn du die Zielrichtung hast, ja irgendwie schnell reich zu werden, funktioniert nicht. Lass es. Aber wenn du Bock drauf hast, dich selber zu verwirklichen und daran glaubst, an deine Idee glaubst, dann kann ich jedem nur raten, weil es ist eines der geilsten Gefühle, die ich bisher in meinem Leben hatte, das zu machen, Startup zu gründen. Aber sich auch dessen bewusst zu sein, dass das alles nicht von heute auf morgen funktioniert.

Im Bergbau haben zig Nationen gearbeitet. Ohne die Gastarbeiter, die damals hier rüber gekommen wären ins Ruhrgebiet, glaube ich, hätten wir nie so viele Tonnen Kohle rausgehauen, deswegen wäre ja Wohlstand gar nicht so. Deswegen ist bei uns das Thema Diversität, Gleichheit ein ganz, ganz wichtiges. Unter Tage waren wir alle gleich, waren die Jungs alle gleich, da war es egal, welche Hautfarbe du hattest, welche Sprache du gesprochen hast, du hast da malocht. Warum ist das über Tage nicht? Die Frage haben wir uns gestellt und haben wir uns nicht nur die Frage gestellt, sondern haben uns dessen auch gestellt, als Unternehmen sich auch ganz klar zu positionieren, ganz klar gegen rechts. Und so haben wir mit, eine eigene Kampagne ins Leben gerufen, For all Colours, für alle Farben. Und auch das ist keine Eintagsfliege. Leider ist das morgen nicht vorbei, Rassismus ist morgen nicht vorbei, leider übermorgen auch nicht. Und deswegen, wenn wir eine Plattform haben, wenn wir eine Reichweite haben, finde ich das legitim und als Unternehmer auch eine Pflicht, finde ich, - viele ducken sich, aber für mich ist es eine Pflicht - ganz klar da Position zu beziehen.

Boah, mein bester Moment mit Grubenhelden? Boah, das sind viele Momente. Einer natürlich, klar, also da würde ich lügen, wenn das nicht dazu gehören würde, das war New York. Aber dann gibt es auch ganz, ganz, großartige Momente hier, die hier im Laden passiert sind mit Menschen, die einfach ihre Geschichte erzählt haben. Sei es, wo einmal ein zwei Meter großer Bergmann hier in der Tür stand, so Hände wie Schaufeln, hat gefühlt die Kohle da unten selber noch mit der Hand rausgeholt. Ich dachte: „Was passiert denn jetzt?“ Da packte der mich so, nahm mich in den Arm – boah ich krieg grad Gänsehaut wieder, weil das so einer der krassesten Momente ist, die hier passiert sind – fängt in meinem Arm an zu weinen und sagt: „Matthias, danke, dass endlich mal einer hingeht und meine Geschichte, unsere Geschichte mit dem nötigen Respekt erzählt.“ Mehr Motivation brauchst du nicht, so, um dann noch mehr Vollgas zu geben. So das sind so zwei krasse Momente, die einfach hier passiert sind, die tief im Inneren sind. Aber drumherum auch mit dem Team. Hey, wir haben so witzige Geschichten erlebt, da ist auch nicht mal, hat nicht immer alles funktioniert, weiß Gott nicht. Unter'm Strich sicherlich mehr als nicht. Aber das sind so viele Momente, irgendwann schreibe ich bestimmt mal ein Buch, die dürfen nicht vergessen werden, weil die halt so witzig sind, so großartig sind, das macht unglaublich viel Spaß.